Worldbuilding 101 – Gastbeitrag von Manuela Sonntag

In/Neben/Für eine Geschichte eine Welt zu entwerfen, die nicht unserer eigenen entspricht, vielleicht andere Völker, Spezies oder Regeln enthält und diese dann sinnvoll mit dem Plot zu verbinden, kann eine schwer zu überblickende und vielleicht beängstigende Aufgabe sein. Es spricht daher nichts dagegen, wenn man mal einen „Zeh ins Wasser stecken“ will sozusagen, nicht gleich mit dem Herr der Ringe/Game of Thrones oder dem Star Wars/Dune Level zu beginnen, sondern sich erstmal an Magical Realism, Steampunk, Alternative History etc. zu versuchen. Solltet ihr aber mal ausprobieren wollen wie es funktionieren kann eine ganz eigene Realität für eure Geschichten zu erschaffen, habe ich mal die 5 Schritte zusammengefasst, die mir dabei bisher am meisten weitergeholfen haben. Jede Geschichte entsteht ein wenig anders und keine Regel ist jemals in Stein gemeißelt, aber vielleicht hilft es euch ja doch ein wenig weiter! ☺


  1. Wieviel Magie/Technik darf es sein?

Ich finde es hilfreich sich diese Frage zuerst zu stellen, weil viele Worldbuilding-Aspekte mit dem Magie- oder Techniklevel zu tun haben, das in deiner Welt „normal“ sein soll. Sind wir in einer nahen Zukunft, in der Menschen auf dem Mars siedeln, musst du vermutlich vor allem NASA & SpaceX Ressourcen durchsuchen und dir ein paar Gedanken machen was Leben im Habitat so ausmacht. Sind wir schon bei Laserwaffen und Urlaub auf Alienplaneten? Da dürften deiner Fantasie weit weniger Grenzen gesetzt sein.

  1. Wem wollen wir folgen?

Noch bevor wir über Kontinente, Städte und Kulturen reden, finde ich es nützlich mir zu überlegen, wer meine Hauptcharaktere sein werden? Jede Geschichte, die einem Publikum (in welcher Form auch immer) zur Verfügung gestellt werden soll, muss sich damit beschäftigen die Leser:innen einzuladen, also in den ersten Absätzen und Kapiteln irgendetwas anzubieten, das sie fasziniert. Das schaffen wir aber selten durch fiktive historische Abhandlungen zu fiktiven Kriegen, Völkerwanderungen und Kulturevolutionen, sondern indem wir interessante Charaktere vorstellen und ihnen schwierige Aufgaben stellen. Viele Notwendigkeiten des Worldbuildings ergeben sich außerdem schon durch die simple Wahl unserer Protagonistengruppe. Will ich einen Zauberer, dessen beste Kindheitsfreunde ein Zwerg und ein Elf sind und der aus seinem Heimatkönigreich an den Hof des Nachbarstaates gezogen ist, sagt uns das schon viel darüber aus, wie eine Welt aussehen muss, in der das möglich ist:

  • Offensichtlich existieren Elfen und Zwerge in dieser Welt und es gibt keine oder nur sehr wenig Völkertrennung in den Wohngebieten seiner Heimatstadt
  • Es existiert Magie, aber Magier werden weder weggesperrt, noch gefürchtet oder sonstwie von anderen isoliert
  • Monarchie scheint die gewählte Regierungsform und es gibt mindestens 2 Reiche, um deren Kulturen (und evtl. Geschichte) wir uns kümmern müssen
  1. Was machen die so jeden Tag?

Apropos Kulturen, um die wir uns kümmern müssen, wie sieht denn der Alltag unserer Heldengruppe (nennen wir sie jetzt einfach mal so, auch wenn natürlich nicht jede Romanfigur in dieses Schema F passen muss) aus? Wie wohnt man, isst man, schläft man, verdient man sein Geld und verbringt seine Freizeit in dieser Kultur dieser Welt? Und ist das anders, als „Zuhause“? Wie steht es mit der Familie, Kindererziehung, Liebe, Kunst, Kultur, Haustieren aus? Und wie gefährlich ist es so auf den Straßen herumzuwandern? Was kann unserer Truppe da so passieren, welchen wilden Tieren kann man begegnen und was gilt vielleicht in einer Welt mit Magie oder technisch veränderten Körperteilen als Verbrechen, was nicht?

In einer Welt, in der fliegende Drachen deine Stadt angreifen könnten, liegen die begehrtesten Quartiere vermutlich nicht weit oben in einem Turm. In einer Welt, die von Strahlung verseucht ist, wohnt man vielleicht lieber auf dem Meeresboden. Alltägliche Dinge formen unser Leben weit mehr als die aufregenden Abenteuer, die uns begegnen und für unsere Heldengruppe wird es vermutlich genauso sein. ☺

Man muss es nicht zwingend ausformulieren, aber ich finde die Auseinandersetzung mit dem ganz normalen Alltag von Figuren, lange bevor man sie mit irgendeinem Plot-Problem bewirft, unglaublich hilfreich, um zu entscheiden wie die Welt aussieht, in der sie sich bewegen. Das Ganze funktioniert natürlich nach dem Prinzip „wir zeigen die Welt, statt sie zu beschreiben“, das heißt an diesem Punkt können wir uns auch schon einmal Gedanken darüber machen wieviel Worldbuilding in Nebensätzen passieren kann, während sich unsere Heldengruppe einfach nur durch ihre normale Realität bewegt.

  1. Wie hälst du’s mit der Fortbewegung und Kommunikation?

Apropos bewegen! Neben dem Magie- und Techniklevel ist der Bewegungs- und Kommunikationsradius unserer Figuren ein wichtiges Merkmal, um zu entscheiden wieviel Worldbuilding ich brauche, um die Geschichte zu erzählen – hier geht es um ein Minimum, das benötigt wird, um erstmal mit dem Schreiben anzufangen und/oder das Leser:innen brauchen, um dem Plot zu folgen. Dem „Maximum“ an Dingen, die man über seine fiktive Welt wissen kann, sind natürlich wenig Grenzen gesetzt, aber alles was nicht mit der direkten Erfahrungswelt der Charaktere oder Plots zu tun hat, ist in einem Worldbuilding-Ordner oder Notizbuch besser aufgehoben.

Wenn wir uns also in unserem Mars Habitat aufhalten für die gesamte Geschichte, ist es eventuell nicht wirklich relevant, ob auf der Erde schon fliegende Autos erfunden wurden – es sei denn unsere Hauptfigur ist Mechanikerin und trauert ihrem Hover-VW-Käfer nach. ☺

  1. Schneebälle bergab rollen

Zusammenfassend lässt sich Worldbuilding vielleicht am besten als Schneeball-System beschreiben – also nicht die Betrugsmasche, sondern echte Schneebälle! ☺

Wenn wir eine gute Vorstellung davon haben wer unsere Protagonist:innen sind, wie ihr Zuhause und ihr Alltag aussehen und wie weit sie unsere Geschichte davon wegtragen kann/wird, ergeben sich schon ziemlich viele Fragen, die wir eine nach dem anderen solange beantworten können, bis sich ein zusammenhängendes Bild – oder, wenn wir sehr viel Glück haben, eine ganze Lawine von sprudelnden Ideen – daraus ergibt.


Wer noch weitere Tipps und Tricks zum Worldbuilding hören möchte, oder sich dafür interessiert, welche Entscheidungen ich getroffen habe für die Fantasywelt von Elysion, der sollte dringend mal bei www.etcast.de vorbeischauen (unserem 2-wöchentlich erscheinenden Podcast zum Thema Schreibhandwerk) oder auf meinem Blog www.manuela-sonntag.de, wo ich immer wieder über Bücher, Serien, Filme und auch meine eigenen Projekte aus dem Nähkästchen plaudere.

Viel Erfolg beim Welten bauen!



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