Genre: Kurzgeschichte, Reisebericht
Mindestens 4 – Maximal 15 A4 Seiten
Geplante Veröffentlichungen: Taschenbuch Softcover und eBook
Geschichten aus aller Welt. Reiseerlebnisse, der Alltag von Menschen in Provence, Tirol oder in Peru… Wo ihr wollt und wie ihr wollt… Selbst Erlebtes oder Ausgedachtes… Ihr habt die Wahl.
Kleine Anregung gefällig?
Diesen Text hatte ich in mehreren Artikeln auf der Webseite platinnetz.de eingestellt.
Kreta
Aufbruch und Zugfahrt zum Flughafen
Nach langem Hin und Her, war es mir letztendlich doch möglich, die Reise anzutreten. Voller Vorfreude packte ich meinen Koffer, wog ihn, packte wieder aus, entschied mich für die wichtigsten Sachen und wog ihn noch einmal: 20,9 kg. Mit viel Glück und einer gewissen Toleranzgrenze, würde er wohl ohne Aufschlag durchgehen am Flughafen.
Mit dem Auto wurde ich zum nächsten Bahnhof gebracht. Noch voller Reiselust zog ich meinen Koffer ans Gleis. Treppen brauchte ich hier keine überwinden. Meine große Tochter wohnt in Freiburg und damit ich sie vor dem Abflug noch mal zu Gesicht bekam, stieg ich aus der Regionalbahn aus, obwohl diese nach Offenburg durchgefahren wäre. Nur das gemeinsame Kaffeetrinken mit Anne-Kristin ließ mich diese Entscheidung nicht bereuen. Die Deutsche Bahn hat nämlich pünktlich zu Ostern und somit zu einem Zeitpunkt erhöhten Reiseaufkommens, die Gepäckbänder außer Betrieb gesetzt.
Außer Atem und mit einem ersten Ziehen im Oberarm kam ich beim Coffeeshop an, wo meine Tochter mich grinsend erwartete. In der Hand hielt sie noch ein verspätetes Geburtstagsgeschenk von einer gemeinsamen Freundin – ein ganz edles Duschbad und ein kleines Handtuch von Joop. Über das Geschenk freute ich mich sehr, aber es warf auch die Frage auf: Wer um Himmels Willen braucht Designerhandtücher? Nun gut: So hat jeder seine Aufgabe im Leben. Der eine regiert ein Land und der andere entscheidet wo und in welcher Schriftart sein Namenszug auf Frottee gestickt wird.
Ein gemütlicher Kaffeeklatsch mit viel Gelächter und gut gemeinten Ratschlägen von Beiden für die jeweils Andere waren ein wirklich guter Ausklang und ein richtig runder Abschied von der Heimat. Zum hinauf Bugsieren des Koffers hatte ich zwei helfende Hände und so nahm ich den übernächsten Regionalzug in Richtung Offenburg. Dort angekommen ärgerte ich mich erneut über die still vor sich hin meditierenden Gepäckbänder und wuchtete meinen Koffer unter Schimpfen und Meckern von Gleis 6 auf Gleis 8. Warum sollte es auch wenigstens das Gleis auf demselben Bahnsteig sein? Ein Blick auf meinen Fahrplan sagte mir, dass auch in Karlsruhe und in Bietigheim-Bissingen ein Wechsel der Bahnsteige erforderlich werden würde. Das Ziehen in meinem Oberarm wurde stärker, die ersten Schwielen an meiner Hand röteten sich und aus den gut zwanzig Kilo meines Koffers wurden gefühlte vierzig Kilo.
Um preisgünstig zu fahren bin ich mit dem Baden Württemberg – Ticket gefahren. Da wird einem mal klar, dass Zeit Geld ist, bzw. dass man mit Zeit bezahlt, wenn man Geld sparen will. Von Freiburg bis Stuttgart zum Flughafen brauchte ich geschlagene vier Stunden und vierzig Minuten. Kurz vor Mitternacht kam ich in Stuttgart an. Der Flughafen war ziemlich menschenleer, das war mir schon etwas unheimlich. Das Rollen meines Koffers klang wie das Donnern der Flugzeugräder auf der Startbahn. So leise es eben ging, ohne den Koffer zu tragen, suchte ich mir ein Plätzchen. Ich hatte noch sieben Stunden Wartezeit bis zum Abflug. Unweit von mir lag Jemand auf mehreren Stühlen. Es war nicht auszumachen, ob es ein Obdachloser oder ein Reisender war. Auf der Zugfahrt habe ich das Buch gelesen, welches Anne-Kristin mir noch mitgegeben hat, also suchte ich mir ein zweites Buch aus meiner Urlaubslektüre raus, setzte mich bequem hin, legte die Füße auf meinen Koffer und vertiefte mich in mein Buch. Irgendwann dröhnte ein Schnarchen durch die Halle. Es kam aus irgendeiner Ecke des Flughafengebäudes. Ich hatte mir die Wartezeit unterhaltsamer vorgestellt und ich hatte nicht vor, meine Urlaubslektüre schon vor dem Abflug durchgelesen zu haben. Die Zeit bis fünf Uhr verging nur langsam und ich hatte zeitweise mit meiner Müdigkeit zu kämpfen, aber die Angst, von dem abhebenden Flieger geweckt zu werden, in dem ich eigentlich sitzen sollte, ließ mich wach bleiben und ab kurz vor fünf wurde der Flughafen auch etwas lebendiger. Der erste Flieger ab Stuttgart geht morgens um 6:00 Uhr, meiner sollte um kurz nach sieben abfliegen. Erleichtert, dass mein Umherlaufen im Flughafen nicht mehr klang, wie die Invasion einer Armee in unbewohntes Land, stellte ich mich in die Reihe des Condorschalters, um meine Bordkarte zu holen und vor allem, um meinen elend schweren Koffer los zu werden. Geschafft! Zielstrebig steuere ich die erste Snackbar an. Das Einchecken hat ja noch Zeit.
Wenn ihr mal so richtig teuren Kaffee trinken wollt, dann fahrt zu einem Flughafen!
Selten habe ich für einen Kaffee mehr als 5 Euro bezahlt. Das liegt sicher hauptsächlich daran, dass ich nicht so oft fliege. Aber irgendwie müssen sich die Billigflüge ja auch rechnen, also wird das bei den Snacks und beim Kaffee wieder reingeholt.
Gegen halb sechs ist der erste Ansturm an den Sicherheitskontrollen vorbei und ich entledige mich abgesehen von Hosenknöpfen, BH-Verschlüssen und Zahnplomben aller Metallteile an meinem Körper, lasse mich abscannen und schlendere durch die Shops, die Bordcardinhabern vorbehalten sind. So ohne Koffer fühle ich mich ganz leicht. Vielleicht liegt es aber auch an der Vorfreude aufs Fliegen. Obwohl ich bei längeren Busfahrten jedesmal das Katzen mit o kriege, macht mir das Kribbeln im Baum beim Starten und Landen eines Fliegers nichts aus. Um mich herum sind die Abergläubischen am rumunken: Heut ist der 13., hoffentlich geht alles gut. „Leute aber es ist Montag!“ will ich ihnen zurufen, lasse es aber bleiben. Ich schlendere langsam zum Gateway und setze mich mit einer Zeitung in den Wartebereich, der sich auch langsam füllt.
Ein Surren und Schwirren macht sich in der Lounge breit und die ersten postieren sich vor dem Ausgang. Endlich rufen auch die adretten Damen vom Bodenpersonal unseren Flug auf, bitten aber darum, dass die hinteren Reihen zu erst einsteigen. Klar, dass die Leute aus den hinteren Reihen noch gemächlich in ihrer Bildzeitung blättern und die, die noch warten sollten, den Ausgang blockierten. Es hätte wahrscheinlich nicht sehr viel Unterschied gemacht, nun doch die Leute aus den vorderen Reihen zuerst einsteigen zu lassen. Das blockiert zwar die Gänge im Flieger, der Stau im Gang hätte aber sicher nicht mehr Zeit beansprucht, als das Gedränge vor der Tür und hätte sicher auch weniger Verletzte gegeben.
Irgendwann saßen dann alle auf ihren Plätzen und schauten erwartungsvoll auf die kleinen Monitore. Zu sehen war ein Mann in orangefarbener Warnweste, der wild mit den Armen fuchtelte, aufgeregt ins Funkgerät lamentierte und immer auf den Finger zeigte, der sich keinen Millimeter vom Flugzeug wegbewegte. Tja, Montag der 13. eben und April dazu. Mit dem Finger am Rumpf konnten wir schlecht abheben. Gemurmel vermischte sich mit Gekicher. Auch ich grinste vor mich hin. Alle waren gespannt, was wohl passieren würde. Ups, da ruckte der Finger und fuhr doch noch seitlich davon. Beifall ertönte, fast so, als wären wir schon wieder gelandet. Der Flieger rollte auf die Startbahn, fuhr in Position und endlich: donnernd preschte das Flugzeug immer schneller und schneller werdend die Bahn entlang und hob ab. Ich liebe diesen Moment.
Mir war ein Fensterplatz beschieden und ich knipste eifrig, unter den Wolken, über den Wolken. Zwischendrin warf ich einen Blick auf den Propeller. Es ist sehr beruhigend wenn noch alles dran ist am Flieger, vor allem wenn man etliche Meter über den Wolken schwebt. Wolken wirken nur wie dicke Polster. Ich fürchte, wenn man drauf fällt, zerreißen sie und lassen einen fallen.
Condor meint es gut mit seinen Gästen und spendiert ein Menü. Nicht lecker, aber essbar und der Kaffee war heiß und kostenlos. Also trank ich einige Tassen. Am liebsten hätte ich meine Füße darin gebadet, die waren nämlich eiskalt von der Klimaanlage. Wie jedesmal nehme ich mir vor: Beim nächsten Flug mehr anzuziehen.
Bitte anschnallen! – ertönt es da auch schon. Es geht zur Landung. Fein. Noch weiß ich ja auch nicht, was mich dann erwartet.
Ankomme Montag den Dreizehnten
Die Landung verlief reibungslos. In Heraklion verläuft die Landebahn parallel zum Meer, man fühlt sich im Urlaub angekommen, bevor man den Flieger verlassen hat. Schon beim Aussteigen weht mir eine heiße trockene Meeresluft entgegen. Vom Gepäckwagen zwinkert mir mein Koffer zu. Ja ich erkenne ihn, aus diesem ganzen riesengroßen Haufen dunkelblauer und schwarzer Reisebegleiter. Kunststück? Nicht wirklich. Er ist orange. Ich würde mir nie wieder einen schwarzen oder blauen Koffer kaufen. Man ist immer die letzte am Gepäckband. Knallige Farben sind super. Wurde mir auch diesmal an der Gepäckausgabe wieder bewiesen. In der dritten Reihe stehend, mache ich einen langen Hals, um überhaupt etwas sehen zu können. Das hätte ich mir sparen können, denn als mein Koffer da gemütlich seine Runde dreht, erstrahlt das Gepäckkarussell in warmen Farben. Ich rufe nur: „Orange, meiner.“ Da ergreift eine behaarte Männerhand den Griff, zerrt mein Schmuckstück vom Band und stellt es der Dame vor mir, direkt auf die Füße. Die geht fast an die Decke. Kein Wunder. Flipflops, Koffer mit Rollen und nicht zu vergessen 20,9 Kilogramm. Besorgt schaue ich auf ihre Füße und frage sie, ob sie ernsthaft verletzt sei. Sie schüttelt ihren Kopf, reibt sich die Füße und ruft plötzlich aus: „Verdammt!“ ‚Mist der Fuß ist gebrochen‘, denke ich. „Mein Koffer. Der schwarze mit dem kleinen Pandabären dran. Jetzt muss ich noch ne Runde warten.“ sagt die Halbverletzte.
Erleichtert mache ich mich auf den Weg zu den Reiseveranstaltern. Alle namhaften vertreten, wie immer. Im Internet habe ich meine Reise sehr früh gebucht und habe einen Veranstalter erwischt, von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Leider war von dem auch jetzt so rein gar nichts zu sehen. Zweimal fuhr ich die Reihen ab, dann fragte ich eine Reiseleiterin, die gerade eine Gruppe um sich scharte. „Alle die nicht wissen wohin, wenden sich am Besten an Stand 22.“ „Danke.“ Auf geht’s zu Stand 22. In Gedanken blättere ich noch mal mein Englischwörterbuch durch und spreche die Frau, die dort ziemlich allein steht, an. „Sie können ruhig deutsch reden. Wer ist ihr Veranstalter?“ Ungläubig schaue ich die Frau an, als sie sagt. „Super. Wir warten nur noch auf eine andere Reisende, dann fahren wir mit dem Taxi ins Hotel. Ach ja Hotel. Wir mussten umbuchen. Ihr Hotel hat noch gar nicht auf.“ „Wie umbuchen? Welches Hotel? Wo?“ „Selbe Gegend. Statt Lambi geht es jetzt ins Marirena. Hier ist noch Vorsaison müssen sie wissen. Setzen sie sich doch einfach auf die Bank und wenn die andere Dame da ist, hole ich sie ab.“ ‚Nee. Nicht mit mir. Bei meinem Glück, lasst ihr mich glatt da sitzen‘, denke ich und postiere mich etwas seitlich neben dem Stand. Kurz drauf kamen zwei Frauen. Griechinnen, die in Deutschland lebten und zu Ostern ihre Familie besuchen wollten. Ostern war in Griechenland in diesem Jahr eine Woche später als bei uns. Ein Taxi fuhr vor. Der Taxifahrer sprach kein deutsch. Er unterhielt sich mit der jüngeren Frau und deren Mutter meinte, mich unterhalten zu müssen.
Die Taxifahrt war ein Abenteuer. Fast dachte ich schon, Touristen werden auf Kreta mit Hupen begrüßt, aber schon bald wurde mir klar, dass Hupen bedeutete – Mach Platz, hier komm ich! Und damit meinte man keineswegs den Gast, sondern den ungeduldigen Taxifahrer. Zu dritt nebeneinander auf zweispurigen Fahrbahnen fuhren wir unter ununterbrochenem Gehupe nach Ammoudara, unweit von Heraklion. Mir drängte sich der Eindruck auf, dass der Taxifahrer Hupe und Blinker verwechselte und ich suchte in meiner Tasche schon mal nach dem Auslandskrankenschein.
Marirena. Eine klitzekleine Seitenstraße, eine Glastür, in der ein Schild hing und ein kleiner Durchgang in den Innenhof. Das Taxi hielt, der Fahrer sprang raus, flitzte zum Kofferraum, stellte meinen Koffer raus und eh ich was sagen konnte, fuhr das Taxi wieder an. Marirena. Naja, so schwer kann es ja nicht sein einzuchecken, also gehe ich zur Glastür. Abgeschlossen. Das Schild konnte ich zwar entziffern, aber nicht übersetzen. Es war in Griechisch geschrieben. Das kyrillische Alphabet ist mir geläufig, weil ich Russisch konnte, früher mal. Was solls. Ich bin hier Gast, also pirsche ich mich ungefragt weiter. Der Eingang vom Restaurant lässt neue Hoffnung wachsen. Auch zu. Langsam werde ich unruhig. Das Lambi zu, das Marirena vielleicht auch? Der Durchgang zum Hof macht einen kleinen Bogen und ich erblicke den Pool. Da plätschert herrlich klares Wasser drin. Ok. Kein Hotel wird den Pool betreiben, wenn es geschlossen hat, allerdings ist das Wasser für ein bewohntes Hotel viel zu sauber. Ächzend klappert mein Koffer hinter mir her. Das Ende des Durchgangs ist erreicht. Eine Terrasse mit Gartentischen und Stühlen, ein wunderschönes Anwesen und … MENSCHEN. Zwei Frauen liegen am Pool. „Hällou“, spreche ich die beiden an. „Where is se boss?“ Who und Where habe ich schon immer verwechselt. Hier spielte das mal keine Rolle. Die Beiden kichern und schwatzen auf bayrisch miteinander. “ Erleichtert atme ich auf. „Ich gehe mal davon aus, dass hier schon offen ist. Ist niemand da, wo ich einchecken kann?“ „Nachmittags san di immer alle weg.“ erklären mir die beiden freundlich. Ich setze mich einfach in die Sonne und warte ab. Kurze Zeit später rauschen zwei Bäumchen an mir vorbei, knatternd. Ein Moped, mit einem kleinen rundlichen, aber sehr freundlichen Mann schlängelt sich vorbei. Rechts und Links jeweils ein Bäumchen angebunden und auf dem Gepäckträger Tomatenpflanzen in einer Kiste. Yeah, Kreta. So liebe ich dich.
Mein Zimmer habe ich dann auch innerhalb kürzester Zeit. Bis zum Pool sind es nur wenige Schritte zu gehen, eine kleine Terrasse, die wunderschön von Büschen und Zitronenbäumchen umgeben ist erwartet mich. Langsam merke ich die Strapazen der Reise. Immerhin bin ich seit mehr als 24 Stunden wach und durch die Bummelbahnerei schon ewig unterwegs. Wenn ich mich jetzt in die Sonne lege, schlafe ich ein. Lege ich mich ins Bett, schlafe ich durch und es ist doch erst halb drei. Duschen. Super Idee. Ich fühle mich frischer, ziehe mir kurze Hosen und T-Shirt an und suche das Meer.
Die Alte Frau und das Meer und mehr
Die müden Geister sind wieder wach und auch die Pflichten fallen mir wieder ein. Ein Anruf zu Hause. Gut gelandet, erst mal Chaos, aber nun alles gut. Kurz, knapp, billig und vor allem ungeduldig. Das Meer ruft nach mir.
Vom Hotel auf geht die kleine Gasse weiter. Nach etwa hundert Metern wird aus der Gasse ein Sandweg der rechts und links von interessantem Urwuchs umgeben ist und endlich zu einem breiten Strand wird. Lambi ade. Dir trauere ich nicht nach. So nah am Strand, hätte ich dort nicht gewohnt. Kiesstrand ist etwas schwieriger zu begehen wie feinerer Sand, aber ich sehe es als Beinmuskeltraining und kämpfe mich tapfer bis ans Wasser. Körniger Kies klebt an meinen Beinen. Ein natürliches Peeling sozusagen. Das Wasser hat etwa neunzehn Grad. Für mich ausreichend um mich hineinzustürzen. Aber nicht sofort. Erst einmal laufe ich ein Stück am Strand entlang. Einige größere Hotels liegen direkt am Strand und nach ein paar hundert Metern hat eine Strandbar geöffnet. Golden Beach Bar. Ich platziere mich in Wassernähe, bestelle mir einen Tequila Sunrise und freue mich auf zwölf Tage Urlaub, Sonne, Meer und Kultur. Einmal mehr freue ich mich, dass ich alleine gereist bin. Keine Diskussionen, was machen wir heute, kein Genörgel und Gejammer und keiner der sagt: „Um die Zeit schon Alkohol?“ Gut gelaunt, vielleicht auch leicht beschwipst, mache ich mich auf den Rückweg, hole gleich noch Postkarten, Briefmarken und Wasser und halte Ausschau nach dem Lambi. (Um das Ganze mal abzukürzen: Das Lambi habe ich in den 12 Tagen nicht gefunden, sicher weil ich nicht bis ans Kohlekraftwerk gewandert bin. Es hätte mich schon interessiert, was mir da erspart geblieben ist… Aber mit dem Marirena war ich mehr als glücklich.)
Mein erstes Abendessen im Hotel, ein leckeres Pastitio, verlieh mir die richtige Bettschwere. Kurz vor acht lag ich im Bett und habe tief und traumlos geschlafen. Träume, die man in der ersten Nacht in einem fremden Ort träumt werden wahr, sagt man. Arme Chiara. Deutschland sucht den Superstar, die Mottoshows muss ich mir immer angucken. Während meine Tochter schon früh, den diesjährigen Superstar erkannte, fand ich den schrillen Benny gut. Chiara ist die Freundin meiner Tochter. Ich träumte in dieser ersten Nacht, dass wir in Zingst zu einer Jugendfreizeit waren, ich als Betreuerin. Wir sitzen alle im Speisesaal, es gibt Linsensuppe. Chiara hatte Läuse und Benny puhlt ihr die während des Essens aus den langen Haaren. Gibt es Traumdeuter unter euch? Ich würde mich freuen, zu erfahren, was dies bedeutet.
Griechenland hat eine Zeitverschiebung von einer Stunde nach hinten. Das heißt, wenn es dort acht Uhr ist, ist es in Deutschland sieben Uhr. Frühstückszeit in dem Hotel war von Acht bis Neun, also Sieben bis Acht. Ausschlafen war also nicht. Aber ich fliege ja auch nicht in ferne Länder, um dort zu schlafen. Mein Plan: Gut frühstücken und einen Tagesausflug zu machen, um abends im Hotel zum Abendessen zurück zu sein, scheiterte schon am Frühstück. Die beiden Frauen aus Bayern, der Sohn der Einen und ich. Vier Leute und ein Büfett. Klingt super, ist es auch, vor allem wenn so wenig Angebot ist. Ein Zehn Liter Tank für Tee, rechts und links hingen jeweils ein Teebeutel drin, der Kaffee schmeckte auch eher dünne. Das Brot musste selbst geschnitten werden, ein Tuch zum Anfassen gab es nicht. Verwirrt blickte ich mich um. Die Bayern kicherten. „Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie Neue auf das Büfett reagieren.“ Naja, was will man machen. Ich nehme mir Brot, Marmelade, Käse und setze mich. Gekochte Eier mag ich eigentlich gern, aber die waren so eiskalt, dass ich es erschrocken zurück geworfen habe, als ich eines nehmen wollte. Mein Schwerpunkt bei Reisen liegt nun nicht unbedingt auf dem Essen. Obst fehlte mir zwar, aber das habe ich mir dann einfach gekauft und zwischendrin unterwegs noch etwas gegessen. Und letztendlich ist so ein Büfett auch unvergesslich.
Seltsamerweise fühlte ich mich trotz der strapaziösen Reise wirklich fit. Mutig schritt ich also in Richtung Bushaltestelle. Das Marirena hatte quasi eine eigene direkt an der Hauptstraße. Über einen kleinen Weg, vorbei an der Taverne, die auch zum Hotel gehört, kam man dort hin. Fahrpläne an der Haltestelle? Denkste. Ok, ich hab Urlaub, ich hab Zeit, ich warte. Nach zwanzig Minuten kommt ein Bus, allerdings aus der anderen Richtung. Derselbe kommt zehn Minuten später zurück. Erwartungsvoll schaue ich dem Bus entgegen. Ebenso erwartungsvoll schaut der Busfahrer zurück. Und fährt weiter. Verblüfft schaue ich dem Bus hinterher. ‚War vielleicht kein Linienbus‘, denke ich. Inzwischen stehe ich in der prallen Sonne und warte weiter. Zwei Frauen gesellen sich zu mir. Griechinnen. Der Bus auf der anderen Seite fährt und kommt retour. Noch erwartungsvoller schau ich auf dieses Gefährt. Eine der Griechinnen stürmt auf die Straße und springt winkend vor den Bus. Er hält. Ich steige ein.
Wer Freiburgs öffentliches Verkehrsnetz kennt, weiß wie verwöhnt ich bin. In jedem Bus und jeder Straßenbahn hängt eine Anzeige, die die nächste Haltestelle anzeigt. Zusätzlich wird die auch noch durchgesagt. Da träumt man auf Kreta nur von. Unsicher, ob ich mal den Halteknopf drücken sollte, wartete ich eine Station nach der anderen ab. Endlich was Bekanntes. Der Flughafen. Aber was sollte ich hier, der Rückflug war erst in elf Tagen. Grinsend sagt der Busfahrer zu mir: „Endstation“. Ich nicke und sage: „Error.“ Wir lachen beide, als er auf Deutsch sagt: „Komm mit zurück.“ Am Astoria steige ich aus. Neu erworbene Kenntnisse soll man festigen. Also trabe ich zielsicher zur nächsten Bushaltestelle, um mich vor den Bus nach Knossos zu werfen. Das klappt nicht so gut. Zwanzig andere Touristen haben denselben Plan. Aber was solls, der Bus hält ja trotzdem. Was das Aussteigen angeht bin ich jetzt ganz unbesorgt. Die wollen ja alle zur Ausgrabungsstätte und das ist diesmal auch die Endstation.
Im ersten Moment denke ich, ich bin in Polen. Ein Verkaufsstand nach dem anderen. Es gibt Handtücher mit der Landkarte von Kreta drauf, Flaschenöffner, Hüte, Flipflops und Figuren mit Penissen, wie Männer sie wohl gern hätten. Am Eingang werde ich von zwei Frauen angesprochen. Eigentlich sollen sie meine Eintrittskarte abreißen und mich durchlassen. Ihnen fallen meine Fingernägel auf. Frühlingsgrün mit weißen Margeriten, gemalt von meiner Nageldesignerin. So filigran, wirklich kunstvoll. Noch nie habe ich mit einer Frau Händchengehalten. Hier gleich mit zweien gleichzeitig. Aber irgendwann haben sie sich sattgesehen und ich gehe weiter. Schon spricht mich der nächste an. Nein, nicht wegen den Fingernägeln. Ob ich eine Führung möchte. Als guter Tourist habe ich mich auf meine Reise vorbereitet und eigene Informationen zu Knossos mitgebracht. Dankend lehne ich ab, schließe mich aber einer Gruppe an, um ab und zu doch mal zu lauschen. Knossos ist nicht mehr das, was es einmal war. In dem Bemühen, es zu erhalten und zu restaurieren, sieht es neuer als mancher frisch errichteter Rohbau. Trotzdem beeindruckend und es gelingt mir, einige Fotos zu machen, ohne fremde Menschen drauf. Ja, die Deutschen und der Hang zu Diashows. „Stell dich mal dahin Kevin. Ich will dich fotografieren.“, sagt eine Mutter zu ihrem Sprössling. „Warum?“, fragt der etwa Achtjährige. „Na damit du deinen Freunden zeigen kannst, dass du hier warst.“ „Aber das kann ich doch auch erzählen.“ Ich gehe lachend an der kleinen Familie vorbei. Beweisfotos also. Ich knipse zwar auch was das Zeug hält, aber da ich alleine reise, bin ich auf keinem Foto drauf und auch wenn ich Sushi mag, so japanisch bin ich noch nicht, dass ich andere Touris frage, ob sie mich fotografieren.
Reisebekanntschaften
„Wie is denn hier dat Essen so?“ Mit dieser Frage begann eine der unerfreulicheren Urlaubsbekanntschaften. Der Slang sagte mir, das sind Mecklenburger. Ich stamme ursprünglich aus Meck Pomm und erkenne das sofort, wenn Jemand aus dieser Gegend kommt. Noch erfreut sagte ich: „Lassen sie mich raten! Rostocker Ecke.“ „Genau, wie kommen sie da druff?“ „ Ich bin in der Gegend aufgewachsen.“ „Da muss man so weit reisen, um Landsleute zu treffen.“ „Naja, ich wohne jetzt bei Freiburg.“ „Freiburg kennen wir, warn wir auch schon.“ Das ältere Ehepaar setzt sich einen Tisch hinter meinen. Ich sitze mit dem Rücken zu ihnen, das hält den Mann aber nicht ab, mich anzusprechen. „Gibt dat hier gar kein Büfeeh?“ „Nein, statt dessen ein Dreigängemenü.“ „Oh drei Gänge sogar, da sind wir ma gespannt druff.“
Georgio der Chef, ein wirklich liebenswerter Hotelier, der betriebswirtschaftlich sicher ein Sparfuchs ist, seine Gäste aber sehr liebevoll bewirtet und auf Wünsche gern eingeht, hat es sich zur Angewohnheit gemacht, abends von Tisch zu Tisch zu gehen und mit jedem Gast kurz zu sprechen. Mir beteuerte an diesem Abend zum wiederholten Male, dass er gern meinen Sonnenbrand eincremen würde. Ich scherze ein wenig mit ihm und gebe ihm zu verstehen, dass ich Tzaziki in seinem Speiseplan vermisse und ich Tzaziki doch sooo gerne mag. Prompt flitzt Georgio in die Küche und das Dreigängemenü, wird ein Viergängemenü. „Tzaziki“, seufze ich, „da könnte ich drin baden.“ Von da an, habe ich jeden Abend Tzaziki. Als zweiten ersten Gang gibt es an diesem Abend einen Rucolasalat mit Feta und Oliven. „Nich schlecht.“ erfahre ich von meinen Rostocker Landsleuten. Weil man mit vollem Mund nicht spricht, antworte ich nicht. Als Hauptgang bekam ich das Essen vom Vortag mit Spaghetti und Käse überbacken, die neuen Gäste bekamen das Essen vom Vortag mit Reis und ohne Käse. Mir hatte das gestern schon geschmeckt und auf den Käse hätte ich auch gern verzichtet. „Wat is dat denn?“, ertönt es hinter mir. „Lamm mit Lorbeer, Piment und Zimt, lecker oder?“, sage ich. „Läcker? Dat glaubst ja wohl selbst nich. Dat sind nur Knochen und Fett und brammich schmeckt dat auch.“ „Mir schmeckt es gut. Ich habe hier überhaupt abends noch nichts gehabt, was mir nicht schmeckte.“ „Wir ham aber Büfeeh gebucht.“ „Ja, ich auch. Aber Dreigängemenü ist doch ein gleichwertiger Ersatz.“ „Nich, wenn dat nich zu essen is. Gibt dat wenichstens morgens ein Büfeeh?“ „Ja“, sage ich bedeutungsvoll und grinse schadenfroh.
Am nächsten Morgen finde ich schlecht aus dem Bett und höre schon von weitem den norddeutschen Meckerpott. „Wat is dat denn? Dat is doch kein Büfeeh, ein Witz is dat.“ Betont fröhlich rufe ich „Guten Morgen!“ „Moin“, knurrt es zurück. Zielstrebig steuere ich auf das Brot zu, schneide mir einige Scheiben ab, hole mir alles was ich brauche und setze mich. ‚Hoffentlich kommen die nicht an meinen Tisch‘, bete ich im Stillen vor mich hin. Sie kommen nicht an meinen Tisch. Scheinbar mag der Herr sich mit Leuten hinter ihm unterhalten, denn zwischendrin wirft er mir immer ein paar Wortfetzen hin, die ich aber sparsam beantworte. „Irgendwie kommt mir dat hier komisch vor. Schon dat Hotel, nich Erika. Wir ham Marilena gebucht und dat hier heißt Marirena. Vielleicht sind wir hier gar nich richtich.“ „Nachher kommt die Reiseleiterin“, höre ich seine Frau schüchtern sagen. „Mich hat man umgebucht, weil mein Hotel gar nicht auf hat. Ich sollte ins Lambi. Bei ihnen wird das sicher nur ein Tippfehler sein.“ „Wie umgebucht?“ „Na umgebucht halt. Statt im Lambi bin ich hier. Gott sei Dank auch. Die Lage ist traumhaft, das Essen schmeckt, das Zimmer ist sauber, die Anlage idyllisch. Was will man mehr?“ „Im Prinzip schon, aber dat ham wir nich gebucht.“ Es stellt sich raus, dass es das Hotel Marilena wirklich gibt und auch die Beiden umgebucht wurden. Mit dieser Erkenntnis wird der Satz „Dat ham wir nicht gebucht.“, zum Ohrwurm. Schon am zweiten Tag wedelten die mit einer Mängelrüge und suchten Mitreisende die sich an der Klage beteiligen. Klar, es war alles etwas einfach, aber wenn man nach Kreta reist, weiß man, dass es dort ein wenig rustikaler ist. Und wer aus Rostock ist, kommt ja nun auch nicht gerade aus der Metropole.
Mein schöner Urlaub wurde nun immer zweimal täglich, zu den Mahlzeiten, von den Nörglern unter die Lupe genommen. „Wat schon wieder Reis?“, „Mann o Mann, dat ham wir aber nich gebucht.“, „Wie kann man mit son Urlaub zufrieden sein?“. Da platzt mir endgültig der Kragen und ich sage: „Wenn sie Pommes und Schnitzel essen wollen, können sie doch auch in Deutschland Urlaub machen. Oder reisen sie, um es zu Hause schön zu finden?“ Das war der Moment, wo der Ehemann sich tatsächlich einmal umdrehte zu mir. „Nu rehng se sich doch nich so uff.“ „Doch mich regt das auf. Sie kommen hier her, auf eine wunderschöne Insel, wo es noch einfache Lebensart gibt und wollen ihren heißgeliebten deutschen Standard hier haben. Dann müssen sie mehr für ihren Urlaub ausgeben und ins Möwenpickhotel gehen. Ich verbringe hier eine wunderschöne Zeit, finde Land und Leute schön und will das nicht von ihnen kaputtgeredet bekommen.“ „Is ja schon gut.“
Es gab aber auch schöne Urlaubsbekanntschaften. Die beiden Bayerinnen zum Beispiel, oder das Ehepaar aus dem Ruhrgebiet. Und noch viele superschöne Erlebnisse. Aber ich habe den Eindruck, dass Platiner auch gern mal wieder ein Liebesgedicht lesen möchten, deshalb beende ich meine Reiseberichte an dieser Stelle.
Zeitgleich stelle ich die Texte in meinem Blog ein, und dort werde ich nach und nach auch weiter schreiben.
Das Wetter war in den ganzen zwei Wochen superschön. Meine Unternehmungen waren abenteuerlich. Vielleicht gebe ich später noch einige zum Besten. Jetzt beende ich meinen Reisebericht und empfehle allen Kreta, aber meidet die Rostocker.
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